top of page

Wenn „Entschuldigung“ zur Gewohnheit wird – Über das Suchen nach Erlaubnis, die eigene Meinung zu äußern



Es passiert vielen Menschen – vielleicht auch dir. Man spricht seine Gedanken aus, teilt seine Meinung und beginnt den Satz unbewusst mit einem: „Entschuldigung, aber…“. Es ist eine reflexartige Vorbemerkung, fast wie ein unsichtbarer Schutzschild, bevor man das Eigentliche sagt. Aber was bedeutet es wirklich, wenn wir uns ständig entschuldigen, nur um unsere Meinung zu äußern?


Im Kern zeigt sich in diesem Verhalten oft eine Unsicherheit. Unsicherheit darüber, ob die eigene Meinung überhaupt Raum verdient. Es ist, als ob man sich innerlich fragt: „Habe ich das Recht, das zu sagen?“ Diese Frage kommt nicht von ungefähr. Sie hat ihre Wurzeln häufig in Erfahrungen, die wir gemacht haben – in einem Umfeld, das Meinungen hinterfragt, abwertet oder ignoriert hat. Vielleicht wurde man in der Vergangenheit nicht gehört, vielleicht wurde einem sogar signalisiert, dass die eigene Perspektive weniger zählt.

Wenn das Wort „Entschuldigung“ vor jeder Meinungsäußerung steht, sendet es unterschwellig eine Botschaft – sowohl an uns selbst als auch an unser Gegenüber. Es sagt: „Ich nehme Platz weg, und dafür möchte ich mich entschuldigen.“ Es ist, als würde man sich vorab kleinmachen, um bloß nicht anzuecken, um keinen Konflikt hervorzurufen.


Doch Meinungen sind kein Angriff, und sie sollten auch nicht als solche behandelt werden. Sie sind Ausdruck dessen, wer wir sind, wie wir die Welt sehen, was uns wichtig ist. Und dennoch wird das Wort „Entschuldigung“ in diesen Momenten zu einer Art Schutzmechanismus, der Konflikte vermeiden soll, noch bevor sie entstehen. Doch paradoxerweise kann genau dieses Verhalten dazu führen, dass wir weniger ernst genommen werden. Die eigene Meinung wirkt dadurch schwächer, zurückhaltender, unsicherer – selbst wenn sie eigentlich stark und überzeugend ist.


Ein weiteres Problem mit der ständigen Entschuldigung ist, dass sie uns langfristig daran hindert, selbstbewusst für unsere Überzeugungen einzustehen. Je öfter wir uns für unsere Meinung entschuldigen, desto mehr verinnerlichen wir das Gefühl, dass sie tatsächlich störend, unangemessen oder überflüssig sein könnte. Es entsteht ein Kreislauf, in dem die eigene Meinung immer mehr unterdrückt wird, bis wir sie kaum noch auszusprechen wagen – oder nur in einem Umfeld, das vollkommen sicher erscheint.


Doch warum entschuldigen wir uns wirklich? Vielleicht liegt es daran, dass wir gelernt haben, Harmonie über alles zu stellen. Die Angst vor Zurückweisung oder Konflikten spielt oft eine große Rolle. Auch gesellschaftliche Normen und Erwartungen können dieses Verhalten fördern. Besonders Menschen, die stark auf die Bedürfnisse anderer achten, neigen dazu, sich selbst zurückzunehmen, um keine Unruhe zu stiften.


Aber was wäre, wenn wir uns stattdessen erlauben würden, einfach zu sprechen? Ohne Vorbemerkungen, ohne Entschuldigungen? Es bedeutet nicht, rücksichtslos zu sein oder andere zu verletzen. Es bedeutet, unsere Worte mit Respekt, aber auch mit Klarheit zu wählen – und zu akzeptieren, dass unsere Meinung nicht immer auf Zustimmung stoßen wird. Das gehört dazu. Unterschiedliche Perspektiven bereichern das Leben, auch wenn sie manchmal unbequem sind.


Die ständige Entschuldigung ist nicht nur eine Frage der Kommunikation mit anderen, sondern auch eine Botschaft an uns selbst. Sie erinnert uns daran, wie wir uns sehen, welchen Wert wir unserer Stimme beimessen. Jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung zu äußern – nicht, weil er perfekt ist, sondern weil er existiert, fühlt, denkt. Dieses Recht ist nicht verhandelbar, und es braucht keine Entschuldigung.


Es bleibt die Frage: Was passiert, wenn wir anfangen, unsere Meinung zu äußern, ohne uns dafür zu entschuldigen? Was verändert sich in der Dynamik unserer Gespräche, unserer Beziehungen, unserer Selbstwahrnehmung? Und was sagt es über uns aus, wenn wir lernen, unsere Worte als wertvoll und bedeutend zu betrachten – ganz ohne Vorbehalt?

Comentarios


bottom of page